Spiritual Bypassing: Wenn „Alles ist Liebe“ mehr schadet als heilt
- stockerconnie

- 24. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Ich habe lange gebraucht, bis ich verstanden habe, warum mich manche spirituellen Posts und Aussagen so irritieren. Ja, sie klingen positiv. Ja, sie strahlen. Und trotzdem hinterlassen sie in mir ein eigenartiges Gefühl.

Irgendwann wurde mir klar: Ich kenne das auch von mir selbst.
Als mich jemand sehr verletzt hatte – und ich voller Wut und riesiger Enttäuschung war – habe ich zu mir gesagt: „Die ausgleichende Gerechtigkeit wird es schon richten. Ich muss nichts tun.“
Aber ganz ehrlich: In mir sah es anders aus. Ich war wütend, ich war verletzt – und ein Teil von mir wollte Rache. Ja, du hast richtig gelesen: Rache.
Das einzige, was mich in dem Moment beruhigt hat, war eine Art spirituelles Trostpflaster. Aber das war nicht ehrlich. Es war ein klassisches Beispiel für Spiritual Bypassing.
Und genau das höre ich immer wieder – von allen Seiten. Doch was mir damals wirklich Erleichterung gebracht hätte? Ein Kissen nehmen und drauf einschlagen. Fluchen. Einen Abschiedsbrief schreiben Etwas tun, was meiner Wut einen echten Ausdruck gibt.
Was bedeutet Spiritual Bypassing?
Der Begriff stammt vom Psychologen und Buddhisten John Welwood, der ihn in den 1980er Jahren geprägt hat. Er beschreibt damit die Tendenz, spirituelle Ideen, Praktiken oder Sprache zu benutzen, um unangenehme Gefühle, Konflikte oder alte Verletzungen zu vermeiden.
Nach außen wirkt das lichtvoll, positiv und „weise“. In Wahrheit ist es aber ein Weglaufen vor dem, was wirklich gefühlt und integriert werden müsste.
Welwood sagte dazu:
„Spiritual Bypassing ist der Versuch, über das Rohe und Unordentliche unserer Menschlichkeit hinwegzugehen, bevor wir es wirklich angeschaut und befriedet haben.“
Typische Beispiele
Vielleicht kennst du diese Aussagen:
Statt Wut zu fühlen: „Alles ist Liebe.“
Statt Trauer zuzulassen: „Das ist ein Geschenk, um zu wachsen.“
Statt Verantwortung zu übernehmen: „Das Universum wird’s schon richten.“
Statt Grenzen zu setzen: „Du musst nur deine Schwingung erhöhen.“
Sie klingen positiv, ja fast tröstlich. Doch in Wahrheit werden Gefühle damit überdeckt – und andere subtil abgewertet: Wer so spricht, stellt sich oft unbewusst in die Position „Ich bin schon weiter als du“.
Warum Menschen ins Spiritual Bypassing rutschen
Schmerz vermeiden: Niemand möchte Angst, Wut oder Trauer wirklich fühlen.
Schnelle Lösung: Ein Satz ist leichter, als sich durch alte Muster zu arbeiten.
Überhöhung: Es fühlt sich besser an, „weiter“ zu sein als andere.
Schutz: Der Glitzerfilm ist ein Mantel gegen Verletzlichkeit.
Was das mit anderen macht
Für viele, die solche Sätze hören, fühlt es sich abwertend an. Es bleibt ein diffuses Schuldgefühl: „Bin ich nicht neugierig genug? Bin ich nicht offen genug?“
Und genau da beginnt meine Arbeit. Als Tanz- und Bewegungstherapeutin sehe ich: Der Körper verrät mehr als Worte.
Manche Menschen posten Strahle-Sprüche und bunte Emojis – aber ihre Körperhaltung erzählt eine andere Geschichte. Verspannungen, oberflächlicher Atem, steife Bewegungen – der Körper lügt nicht. Und es ist ersichtlich, wenn Worte und Körpersprache nicht zusammenpassen.
Die Risiken von Spiritual Bypassing
Wenn Spiritual Bypassing zur Dauerstrategie wird, kann es richtig schaden:
Gefühle bleiben unbearbeitet → innere Leere, psychosomatische Symptome.
Beziehungen leiden → keine echte Begegnung möglich.
Schuldgefühle und Manipulation entstehen.
Spiritueller Narzissmus: „Ich bin weiter als du.“
Der andere Weg: Integration statt Ausweichen
Wahre Offenheit bedeutet nicht, dass du alles schönredest. Wahre Offenheit heißt, auch Grenzen zu spüren und zu respektieren – die eigenen wie die der anderen.
Heilung geschieht, wenn Wut, Angst und Trauer genauso Platz bekommen wie Freude und Liebe. Und genau dabei ist der Körper der Schlüssel: Er speichert alte Erfahrungen, er zeigt, wo Verletzungen liegen – und er lügt nie.
Nur wenn wir über den Körper ins Spüren gehen, kann echte Integration geschehen.
Fazit
Spiritual Bypassing ist wie ein glitzernder Vorhang: Nach außen strahlt er, aber dahinter bleibt vieles unbearbeitet. Wahre Spiritualität ist kein Glitzerfilm. Sie ist die Bereitschaft, hinzuschauen, zu fühlen und den eigenen Körper als Wegweiser zu nutzen.
Wenn du spürst, dass dir Sprüche und Glitzer nicht mehr helfen – und du echte, verkörperte Veränderung suchst – dann begleite ich dich gern.
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Connie Stocker ist Dipl. Tanz- und Bewegungstherapeutin (Ressourcen & Prozesse). Sie unterstützt Menschen in Krisen in eigener Praxis in Buchs SG und online mit körperorientierten Methoden.
Dazu bietet sie Unternehmen nachhaltige Resilienz Trainings an, damit Fach- und Führungskräfte nicht ausbrennen, sondern auch in Zukunft mit Herzblut und Überzeugung wirken. Ihre Leidenschaft gilt dem Tanz und dieser hat sie auch zu ihrer Berufung gebracht. Was mich antreibt? Die faszinierende Sprache des Körpers.



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